Dix als Tänzer
Als der Jazz in den 1920er-Jahren nach Deutschland kam, etablierte er sich sofort als vorherrschende Tanzmusik.
Unter den vielen Jazz-Fans befanden sich auch einige Künstlerinnen und Künstler wie George Grosz und Max Beckmann.
Auch Otto Dix begeisterte sich für die Rhythmen der neuen Musik.
Der modebewusste junge Maler – Dix legte sehr viel Wert auf sein Äußeres, kleidete sich elegant, benutzte Parfüm und trug sein Haar „amerikanisch“
nach hinten frisiert – war ein versierter Tänzer. Seine Künste auf dem Parkett brachten ihm zum einen seinen Spitznamen ein:
Jimmy – in Anlehnung an den als unsittlich geltenden Schütteltanz Shimmy. Zum anderen trugen sie dazu bei, dass Dix seine spätere Ehefrau
Martha kennenlernte.
Der Künstler sollte den damaligen Mann von Martha, Hans Koch, porträtieren und hielt sich deshalb in Düsseldorf auf.
Martha war bei der Begegnung unerwartet begeistert von dem Maler, denn auch sie tanzte wie er leidenschaftlich gerne:
„Von Dix stellte ich mir vor, da kommt ein junger Mann an mit lauter Pickeln und blonden Haaren. Er hatte wirklich blonde Haare,
und vor allem war er ganz munter. Es stellte sich heraus, dass er wahnsinnig gut tanzen konnte. Hans fand das albern und machte extra noch Blödsinn.
Grauenvoll. Ich war nun immer kolossal auf Tanzen aus, und es wurde beschlossen, ein Grammophon anzuschaffen. Wir haben also getanzt,
und Hans hat gesoffen.“
Martha und Otto wurden rasch ein Paar. Aufgrund ihres tänzerischen Könnens überlegten beide sogar, professionelle Schautänzer zu werden.
Davon zeugt ein Doppelbildnis in Abendgarderobe, das Dix 1923 anfertigte. Auch in anderen Gemälden hat der Jazz seine Spuren hinterlassen,
etwa in dem Programmbild „An die Schönheit“ von 1922, das sich im Von der Heydt-Museum in Wuppertal befindet.
Das bekannteste Jazz-Bild von Dix – vielleicht der Roaring Twenties überhaupt – ist jedoch das Triptychon „Großstadt“ von 1927/28 aus dem
Kunstmuseum Stuttgart. Auf dem spiegelnden Parkett einer Bar sehen wir im Zentrum der Mitteltafel Martha beim Charleston in den Armen eines Eintänzers.
Unter den Musikern gibt ein Saxofonist den Ton an. In dieser Figur hat Dix einen sächsischen Kulturpolitiker verewigt,
dem er seine Professur an der Dresdener Kunstakademie verdankte. Die Szene spielt also nicht in Berlin, sondern in der Elbmetropole.
Tanzen war für Martha und Otto auch noch wichtig, als die Familie 1935 aufgrund der zunehmend düster werdenden politischen Situation an den Bodensee
zog. Eine Musiktruhe mit Rädern von Telefunken wurde bei Feiern in die Halle des Hauses in Hemmenhofen gerollt, die so in einen Tanzsaal
umfunktioniert wurde. Zum Glück hat sich die Sammlung an Schellackplatten erhalten, aus der hier nun erstmals ausgewählte Titel zusammengestellt sind.
In ihnen spiegelt sich der Einfluss wider, den der Jazz auf Dix gehabt hat. Zugleich vermitteln sie einen lebhaften Eindruck von den rauschenden
Festen, die bei den Dixens gefeiert wurden und für die Freunde eigens von weit anreisten.
Sven Beckstette, Kurator Kunstmuseum Stuttgart
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